Die Pioniere aus Stuttgart
Infoserie Bodenqualitätsindex – Beispiele aus dem Ausland
Um die Jahrtausendwende wurde der Ballungsraum Stuttgart im deutschen Baden-Württemberg mit einer erschreckenden Prognose konfrontiert: Bis 2080 würden die Böden der Gemeinde komplett versiegelt sein. Dank einer raumplanerischen Pionierleistung gelang Stuttgart jedoch eine Trendwende. Das Siedlungswachstum wurde gebremst und Zugriffe auf naturnahe funktionstaugliche Böden sind die Ausnahme. Gleichzeitig werden vorbelastete Böden im Siedlungsgebiet gezielter genutzt.
von Michelle Dür
Seit 2006 ist das Bodenschutzkonzept Stuttgart (BOKS) fester Bestandteil der Bauleitplanung (entspricht der kommunalen Nutzungsplanung der Schweiz). Seither sind sämtliche Bodenbeanspruchungen mittels Bodenindexpunkten (BX) zu erfassen. Grundlage dazu bilden ein Bodenqualitätsindex und die Planungskarte “Bodenqualität”. Diese Karte (1:20’000) basiert auf Bodendaten für das ganze Gemeindegebiet und bezieht somit neben Agrarböden auch Wald- und Siedlungsböden mit ein.
Veränderungen der Bodenqualität sicht- und messbar machen
Bodenqualität wird auf der Hinweiskarte mithilfe eines Indexes in sechs Stufen (0-5) dargestellt. Der Index wird durch das arithmetische Mittel der schützenswerten Bodenfunktionen berechnet, wobei auch Funktionshemmnisse wie Altlasten und Versiegelung berücksichtigt werden. Zu den erfassten Bodenfunktionen zählen:
- Standorte für natürliche Vegetation und Kulturpflanzen
- Ausgleichskörper im Wasserkreislauf
- Filter und Puffer für Schadstoffe
- Archive für Natur- und Kulturgeschichte
Um die Auswirkungen eines Vorhabens auf den Boden zu beurteilen, werden die Bodenindexpunkte berechnet. Dazu werden die den Böden zugewiesenen Qualitätsstufen (0-5) aus der Planungskarte mit ihrer jeweiligen Fläche multipliziert. Der erhaltene Punktestand zeigt den Ausgangszustand. Wird Boden beansprucht, schrumpft dieser Punktestand proportional zum lokalen Qualitätsverlust. So lässt sich jede Beanspruchung bereits in der Planung prognostizieren und nach dem Eingriff objektiv und eindeutig messen.
Verbindliche und nachhaltige Implementierung
Damit die Bodenqualität konstant auf hohem Niveau gehalten werden kann, war eine Trendwende nötig. Dies lässt sich allerdings nicht über Nacht bewerkstelligen. Deshalb führte Stuttgart 2006 ein Kontingent von 1’000 BX ein, welches notfalls noch «geopfert» werden könnte. Damit geht das BOKS über die reine Messung von Bodenindexpunkten hinaus, da klare Zielvereinbarungen getroffen werden. Die Auswertung der letzten 18 Jahre zeigt, dass dank der Indexpunkten und einer gezielten Bewirtschaftung des Bodenkontingents eine sparsame Bodennutzung weitgehend gelang. Ausnahme bildet der Zeitraum 2015-2017. In dieser Zeit forderte ein Bahn-Neubauprojekt den Verlust von 109.4 BX, die nicht kompensiert werden konnten. Auch in Zukunft können der Bodenindex und die BX solche Planungen nicht verhindern. Dennoch leisten sie einen wertvollen Beitrag zum Erhalt von hochwertigen Böden und der Fokussierung auf die Siedlungsentwicklung nach innen. Dies deuten auch die aktuellen Zahlen an, wonach das verbleibende Kontingent im Jahr 2021 noch 766.8 BX betrug.
Anwendung auf den Schweizer Kontext?
Neben einer verlässlichen Methodik und der vorhandener Datengrundlage dürfte vor allem die hohe politische Akzeptanz der Schlüssel zum Erfolg des Stuttgarter Models gewesen sein. Dabei war es besonders förderlich, den Gemeinderat frühzeitig miteinzubeziehen. Zudem gewährt das Instrument Planungsfreiheiten und ist auch für Laien verständlich. Der methodische Ansatz lässt sich gut auf andere Gemeinden anwenden, solange die nötigten Daten vorhanden sind. Diese bodenkundliche Datengrundlage fehlt aber zurzeit in der Schweiz.